Ein gewöhnlicher Morgen, im Oktober 2018, ein Anruf der PR-Abteilung des Krankenhauses informiert mich für einen Termin für eine Augenprothese. Das ist im ersten Moment Routine und im Verlauf meines Werdegangs in der Augenheilkunde und der Optometrie, erst einmal nicht überraschend. Für einige Kollegen bin ich sicherlich nicht ganz der Standard Optometrist oder Augenarzt. Wer geht schon für ein Jahr nach Indien und erlernt so nebenbei das Handwerk des Augenmachers. Das Sehen war immer die Aufgabe, der ich mich verschrieb und das Sehen eines Augenpaares zu verbessern ganz normal. Für einen Menschen ist die Selbstwahrnehmung, wenn ein Auge nicht mehr da ist, ein sehr wichtiger Aspekt, vor allem wenn es sich um ein Kind handelt. Da es nicht viele Augenmacher in Jordanien gibt, war dies für mich eine weitere Aufgabe, die mir wichtig ist.
Ein neues Auge für ein Kind aus Syrien
An diesem Tag war dies keine Routine mehr. Am Telefon erfahre ich, dass der Termin für einen speziellen Patienten ist, und die Betreuung eine komplexe medizinische und psychologische Aufgabe ist. Bei der Einsicht der Patientenakte im Büro des Leiters der Öffentlichkeitsarbeit offenbarte sich, dass der Patient ein Kind ist, welches infolge einer Explosion bei den Kriegsgeschehnissen in Syrien ein Auge verloren hat.
Die Akte zeigt, dass die Verletzung sehr schwerwiegend ist. Das Gesicht sei heftig verletzt worden und der Patient habe sich in Jordanien – dem Aufnahmeland – mehreren rekonstruktiven Operationen am Gesicht als auch an der Augenhöhle unterziehen müssen. Das Kind und seine Verwandten suchten Zuflucht vor der schwerwiegenden Gewalt und Grausamkeit des Krieges in Syrien. Die besondere psychische Belastung der Kinder bedeutet meist eine kontinuierliche Abwesenheit von Normalität, und die fortwährenden Kämpfe und Kriegssituation verursachen bleibende traumatische Schäden.
Augenprothese für Ahmed
Am nächsten Morgen wartete ich in der Klinik bis das Kind und seine Eltern mit mir im Untersuchungsraum waren und die Behandlung beginnen konnte. Als ich ihn sah, bekam ich gemischte Gefühle. Einerseits bin ich der Arzt, der das kosmetische Auge, eine Prothese aus Glas für ihn anfertige, doch andererseits war dieses Kind nun in meiner Obhut, um Kriegsschäden „zu beseitigen“, um das von unserem Schöpfer gegebene, äußerliche Erscheinungsbild wiederherzustellen. Wie jedem anderen gläubigen Menschen fällt es mir schwer den Verlust der Menschlichkeit in der augenblicklichen weltpolitischen Situation zu sehen. Deshalb fühle ich eine besondere Verantwortung diesem Kind gegenüber, auch wenn mir klar ist, dass es überlebte, und „nur ein Auge“ verlor. Als Spezialist für das Sehen, mit dem Wissen und der Erfahrung um die Bedeutung dieses so wichtigen Organs, ist das nur ein kleiner Trost.
Ein Auge, das nicht sieht, aber gesehen wird
Um in der Gesellschaft und dem modernen Leben uneingeschränkt teilzunehmen, ist das Sehen sehr wichtig. Auch ist es in manchen Teilen der Welt nicht so leicht möglich, ein Leben als selbstbestimmtes Individuum ohne Stigma durch den Verlust eines Auges zu führen. Das Kind wird sein ganzes Leben and diesen Tag im Krieg in Syrien, einst sein Heimatland, erinnert werden. Jedes Mal, wenn er seine Augenprothese reinigt um diese in die operativ physiologische, rekonstruierte Augenhöhle einsetzt.
Im Mittleren Osten haben wir uns and die „Kaufleute des Todes“ (Merchants of Death), also die Menschen und Akteure, die Krieg als Geschäft betreiben, gewöhnen müssen. An das menschliche Leid, und die entstellten Gesichter, die das jeden Tag auf das Neue hervorbringt, gewöhnt man sich niemals.
Der Respekt für das Individuum, ob großer oder kleiner Mann, einer kleinen Frau und einem noch kleineren Kind ist nicht vorhanden und nicht berücksichtigt. Ausgeblendet!
Dieses achtjährige Kind, Ahmed, 8 Jahre, war bei der Erstuntersuchung und bei dem ersten Abdruck der Augenhöhle (Gips-Auge) sehr gefasst. Die vielen Folgeuntersuchungen mit den Messungen und Anpassungen waren für alle Beteiligten sehr anstrengend und energiezerrend. Doch allen, vor allem Ahmed war klar, dass dies notwendig ist, um die Prothese so gut wie möglich anzufertigen. Die Ruhe und das Bewusstsein dieses Kindes überraschten mich zunehmend, als ob es zwanzig, und nicht acht Jahre alt wäre.
Eine Bombe in Syrien
Ja, Kinder “altern“ in der Seele und der Wahrnehmung vorzeitig, wenn diese einen Krieg erleben und dessen Geißel und die damit verbundenen Tragödien. Die eigene Tragödie und der anderen Menschen mit zu erleben ist nichts anderes, als Kinder um ihre Kindheit und um ihre Träume zu bestehlen.
Wir alle müssen unserer Pflicht gegenüber den gegenwärtigen und zukünftigen Generationen nachkommen, und der Sinn und das Ziel muss sein, die grundlegendsten Rechte der Menschheit zu gewährleisten. Das Recht auf Leben und Sicherheit. Wir versuchen dass wiederherzustellen, was der Menschheit im Allgemeinen, und im Besonderen für dieses Kind, nie hätte abhandenkommen sollen. Eine friedliche Welt mit Respekt und Liebe für alle unseren Mitmenschen. Bisher haben wir hier oft versagt, und Geldmangel war meist nicht das Problem.
Zurück zu Ahmed. Viele routinemäßige ärztlichen Besuche waren notwendig, um das kosmetische Auge so schön wie möglich zu machen. Aus medizinischer Sicht gab es einige Hindernisse, die gemeistert werden mussten. Doch am Ende, durften wir ein Lächeln auf den Lippen dieses Kindes erleben, dass nach all den vielen Operationen vielleicht die Hoffnung nicht aufgegeben hat.
Dr. Shaher
Fall und Patienten Schilderung, Amman, Jordanien: Dr. Shaher Saad Eddin OD Jordanien, MD, Ophthalmologie, Arzt im Praktikum in Armenien und Ukraine. Seit 2006 ist Dr. Shaher mit dem Netzwerk „Der Optik Inspektor“ verbunden und fand Zeit einer seiner vielen Erlebnisse hier zu teilen. Hilfe bei der Version Arabisch und Englisch in das Deutsche ist von OD Sachsenhauser, Dubai, Dr. E.
Vielen Dank